Wien 1860 - 1863
Januar 1860
Bruch mit Emil Kuh, dem engsten Vertrauten der vergangenen zehn Jahre. Hebbel ist tief getroffen und nennt Kuh nur noch den „Judas Ischariot“. Kuh schreibt dazu in seiner Hebbel-Biographie (und es ist ironisch, daß dies der letzte Passus ist, den er vor seinem Tod verfasste – er starb am 30. Dezember 1876 in Meran an der Schwindsucht):
Es ließ sich schwer mit ihm leben! (...) Wieviel Peinliches und Aufreibendes ein so geartetes Verhältnis, wie das meine zu ihm, für den schwächeren, den leidenden Teil haben mußte, begreift sich leicht. Die tausend und aber tausend Lichtstreifen und Schattenflecke eines unaufhörlich bewegten Gemütes, einer ruhelos arbeitenden Phantasie gingen über mich als den beständigen Teilnehmer aller Aufwallungen und Eindrücke Hebbels, aller seiner hellen wie düstern, wehevollen wie zornigen Stunden, seiner Hoffnungen und Zweifel, Kränkungen und Martern gewitterähnlich hin, ja durch mich hindurch. Ich genoß und ich seufzte, ich bildete und ich verwirrte mich unter seinem lehrenden, erziehenden und aufbrauchenden Einflusse. (...) Er zählte zu jenen starken, von dem Drange sich auszuleben übermächtig erfüllten Individuen, die man unter den Gattungsbegriff Gehirnraubtier bringen möchte. Mir sollte der Schmerz nicht erspart bleiben, mich von ihm persönlich lossagen zu müssen. (...) Während eines harten Wortwechsels bestritt mir Hebbel das Recht der Selbstbestimmung und dicht an mich herantretend, zitierte er die Worte aus dem Wallenstein: „Gehörst du dir? Bist du dein eigener Gebieter, strebst frei du in der Welt, wie ich, daß du der Täter deiner Taten könntest sein? Auf mich bist du gepflanzt–.“ Ein verändertes und dabei menschlich fruchtbares Verhältnis war nicht möglich; dies spürte ich. Und so riß denn eines Tages der Faden ab. – Erst auf seinem Sterbebette, sozusagen in Gegenwart der Parze, welche die Schere hinter dem schicksalschweren Mann erhob, knüpfte er sich wieder an.
(Biographie 2, 484f.)
Ich habe durch diesen Menschen, wegen dessen ich mich noch vor einigen Monaten mit Gutzkow auf Tod und Leben entzweite, weil er ihn einen Commis nannte, schweres Unrecht erlitten und gründlich erfahren, wie bitter der Undank ist. Aber ich habe es mir, obgleich ich vierzehn Tage lang keine Nacht schlief und dem Typhus nahe war, doch dadurch zu versüßen gewußt, daß ich es als eine Art von Compensation für das Unrecht betrachtete, das ich selbst begangen haben mag und dadurch wirkliche Erleichterung gefühlt. So liegt der Gedanke der Buße in der Menschenseele.
(T 5785)
22. März 1860
Eben, Abends 7 Uhr, schreibe ich die letzten Verse des fünften Acts von Kriemhilds Rache nieder. Draußen tobt das erste Frühlings-Gewitter sich aus, der Donner rollt und die blauen Blitze zucken durch das Fenster, vor dem mein Schreibtisch steht. Beendet, wenn nicht vollendet. Die Haupt-Scene fiel auf meinen Geburtstag, mir immer ein schönes Zeichen für’s ganze Jahr. October 1855 begann ich.
(T 5798)
Vgl. Jost Hermand: Hebbels Nibelungen. Ein deutsches Trauerspiel. In: Hebbel in neuer Sicht, 315–333. – Wilhelm Emrich: Hebbels Nibelungen – Götzen und Götter der Moderne. In: Hebbel WdF, 305–326. (zuerst 1974, dann in: W. E.: Poetische Wirklichkeit. Studien zur Klassik und Moderne, Wiesbaden 1979) – Klaus Harro Hilzinger: Hebbels Nibelungen – Mythos und Nationalgeschichte. In: Neue Studien, 103–116. – Horst Albert Glaser: Ein deutsches Trauerspiel: Friedrich Hebbels Nibelungen. In: Die Nibelungen: Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20 Jahrhundert. Hg. von Joachim Heinzle und Anneliese Waldschmidt. (Suhrkamp Tb) Frankfurt/M. 1991, S. 333–350. – Monika Ritzer: „Dem Frevel ist kein Maß, noch Ziel gesetzt“. Zur Analytik der Gewalt in Hebbels Nibelungen. In: „Alles Leben ist Raub“, 219–240. – Friedrich Oberkogler: Mensch und Mythos. Der Nibelungen-Mythos bei Hebbel und Richard Wagner. In: HSR 4. Wien 1992, 117–154.
Bald darauf schickt Hebbel das fertige Manuskript der Nibelungen an Franz Dingelstedt, der trotz Hebbels Zweifeln an der Machbarkeit einer Aufführung zur Inszenierung entschlossen ist. Am
31. Januar 1861
werden die ersten beiden Teile der Trilogie, Der gehörnte Siegfried und Siegfrieds Tod, am Hoftheater in Weimar in Anwesenheit des Dichters uraufgeführt:
Der Erfolg der Aufführung war unzweifelhaft; eine Aufmerksamkeit und Todtenstille, als ob nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft die Rede wäre, und eine so fest zusammen gehaltene Stimmung, daß nicht einmal die Zwerge mit ihren scheußlichen Buckeln und langen Nasen das leiseste Gelächter hervor riefen. Der Großherzog ließ mich nach dem Schluß in seine Loge hinauf bescheiden und dankte mir herzlich; eben so die Großherzogin.
(An Christine, 2. Februar 1861, WAB 4, 133f.)
Das Jahr 1861 steht ganz im Zeichen Weimars. Am 16. und 18. Mai wird die gesamte Nibelungen-Trilogie an zwei Abenden aufgeführt, mit Christine in der Rolle der Brunhild am ersten, der Kriemhild am zweiten Abend. Da Laube der Schauspielerin keinen Urlaub hatte geben wollen, hatte der Großherzog sich persönlich an den Kaiser Franz Joseph gewandt, um das Gastspiel möglich zu machen. Carl Alexander von Sachsen-Weimar will das Ehepaar Hebbel ganz nach Weimar holen, und Hebbel, geschmeichelt und geblendet von diesen Aussichten, bemüht sich ernsthaft um die Übersiedlung. Am 30. Mai 1861 schreibt er einen langen Brief an Heinrich Laube (WAB 4, 176–181), der gleichzeitig Abrechnung und Kampfansage an den verhaßten Burgtheaterleiter ist und mit dem er den Bruch herbeizuführen sucht. Aber die beharrenden Kräfte in Wien sorgen für eine Verzögerung der Angelegenheit, und inzwischen wird Hebbel klar, daß das enge Weimar vielleicht doch nicht der richtige Ort für ihn ist und daß er nicht allen dort, selbst Dingelstedt nicht, willkommen ist. Ende 1861 gibt er den Plan der Übersiedlung wieder auf. Der Kontakt bleibt dennoch erhalten, im August 1862 verbringt er einige Tage als persönlicher Gast in Wilhelmsthal, der Sommerresidenz des herzoglichen Paars, zu seinem 50. Geburtstag wird er – nur ehrenhalber allerdings – zum großherzoglichen Privat-Bibliothekar ernannt.
Vgl. Lothar Ehrlich: Hebbel in Weimar. In: HSR 3. Wien 1990, 165–177. – Barbara Stern: Hebbel und Weimar. In: HJb 1995, 73–91.
Christine und Titi 1861
19. Oktober 1861
Hebbels Gedicht An Seine Majestät, König Wilhelm I. von Preußen (W 6, 412–416) erscheint in der Leipziger „Illustrierten Zeitung“. Es wurde angeregt durch das Attentat, das der Leipziger Jurastudent Oskar Becker am 14. Juli 1861 in Baden-Baden auf den Monarchen verübte. In diesem langen politischen Gedicht finden sich die auf die Nationalitätenkämpfe im Vielvölkerstaat Österreich anspielenden Verse:
Auch die Bedientenvölker rütteln
Am Bau, den Jeder tot geglaubt,
Die Czechen und Polacken schütteln
Ihr strupp’ges Karyatidenhaupt.
Der Ausdruck Bedientenvölker empört tschechische und polnische Nationalisten und löst eine Flut von Gegenartikeln, Gedichten und offenen Briefen an Hebbel aus und macht ihn für einige Wochen zum Skandalautor. Der angesprochene Monarch dagegen gibt mit keinem Wort zu erkennen, ob er das Gedicht gelesen hat.
Vgl. Paul Kisch: Hebbel und die Tschechen. Das Gedicht An Seine Majestät, König Wilhelm I. von Preußen. Seine Entstehung und Geschichte. Prager deutsche Studien 22. Prag 1913. – Wolfgang Häusler: „Die Czechen und Polacken schütteln / Ihr strupp’ges Karyatidenhaupt“. Friedrich Hebbel und die „Bedientenvölker“ der Habsburgermonarchie. In: HJb 1996, 151–212.
Zur gleichen Zeit reist Hebbel nach Hamburg, um mit Campe den Verlag der Nibelungen zu besprechen (sie erscheinen 1862 im Druck). Von dort aus besucht er seinen Bruder Johann, der in einem Dorf in der Nähe von Rendsburg lebt und den er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte (vgl. Auszüge aus Tagebüchern und Briefen), meidet aber auch diesmal seine Heimat Dithmarschen. Während Hebbel noch unterwegs ist, mietet Christine eigenmächtig eine neue Wohnung und bewältigt auch gleich den ganzen Umzug. Die Wohnung, die letzte, in die Hebbel neu einzieht, liegt in der Drei-Mohren-Gasse 378 in Neu-Wien, heute Liechtensteinstraße 1 im IX. Bezirk. Die Jahresmiete beträgt 688 Gulden.
Also einen Geniestreich hast Du ausgeführt? Nun, ich habe Nichts dagegen, denn ich war der Gerüche aus der Gasthaus-Küche unter meinen Zimmer-Fenstern, so wie der Zänkereien zwischen Oberkellner und Köchin herzlich müde, auch werde ich die dicke Tonne im Hof, die Hausmeisterin, keineswegs vermissen. Aber die Anstrengung muß ja eine fürchterliche gewesen seyn, da wir selbst das Holz schon im Keller hatten, und ich zittre vor den Folgen. Ein Paar practische Fragen: ist mein Tokayer nicht vergessen und werden mir keine Briefe verloren gehen? Das Letztere hängt davon ab, ob Ihr von dem Gesindel unten in Frieden geschieden seyd.
(An Christine, 26. Oktober 1861, WAB 4, 270)
Juni 1862
Über Paris fährt Hebbel anläßlich der zweiten Londoner Weltausstellung in die britische Hauptstadt, fühlt sich aber dort, da er der Sprache nicht mächtig ist, nicht recht wohl, bis er einem alten Bekannten wieder begegnet:
Auf einmal lese ich an einer Straßen-Ecke: „King-Street“ und erinnere mich, daß Sigmund Englaender dort wohnt, finde auch gleich das Haus und klopfe, denn in England wird geklopft, wie in Deutschland geklingelt. Eine saubere junge Magd öffnet, ich werde als ein Master Wien gemeldet, weil ich mich als einen Mons: de Vienne angekündigt hatte und steige eine Treppe hinauf. Er saß mit einem Franzosen bei’m Frühstück und war fast sprachlos, als er statt einer gleichgültigen Person auf einmal Banquos Geist vor sich sah. Natürlich blieben wir den Tag beisammen, um der Vergangenheit ihr Recht anzuthun, und ich fand ganz den alten Menschen von 1846 wieder, den tiefsinnigen, genialen Dichter-Interpreten, den das politische Sturm-Jahr gewaltsam aus seiner Bahn riß und in der Luft herum drehte; auch äußerlich wenig verändert und nur zu seinem Vortheil. Er ist verheirathet, hat eine allerliebste junge Frau und einen gesunden blondlockigen Knaben; ein besseres Wiedersehen, als das Bombardement von Wien erwarten ließ! Er nahm einen Wagen und kutschirte mich in eigener Person drei Stunden lang in London herum, mit einer Geschicklichkeit, die einem Helden des Pindar Ehre gemacht haben würde; dann aß ich mit ihm, und den Abend brachten wir in einem öffentlichen Local zu. Seit Jahren zum ersten Mal wieder ein ordentliches Gespräch; dabei Taschenspieler-Künste vor uns, ein Mädchen von neun Jahren, das auf einem Seil tanzte und ein dicker feister Vater, der sich durch die lebensgefährlichen Künste seines Kindes ernährte! Du weißt, ich bin ohne Menschen, was ein abgeschnitt’ner Finger ohne Körper ist, und kannst einen solchen Abend würdigen!
(An Christine, 8. Juni 1862, WAB 4, 417)
Der nach der Reise beginnende Briefwechsel mit Engländer gehört zu den wichtigsten seines Briefwerks, weil dieser Hebbel dazu bringt, noch einmal die Summe seiner Dichtung zu ziehen. Andererseits veranlaßt Hebbel Engländer dazu, seine Erfahrungen mit der frühsozialistischen Arbeiterbewegung zu einem Buch zu verarbeiten, und vermittelt es an seinen Verleger Campe; es erscheint wenige Wochen vor Hebbels Tod: Sigmund Engländer: Geschichte der französischen Arbeiter-Associationen. 4 Bde. Hamburg 1864.
Vgl. Ludger Lütkehaus: „Master Wien“ aus Wesselburen mit (Sigmund) Engländer in London – und das „brennendste aller Themen“. In: HJb 2004, 39–58.
19. Februar 1863
Erstaufführung der Nibelungen am Wiener Burgtheater mit Christine als Brunhild und Charlotte Wolter als Kriemhild. Der Uraufführung in Weimar waren schon im Dezember 1862 die Hoftheater in Berlin und Schwerin gefolgt, so daß auch Burgtheater-Intendant Laube seinen hinhaltenden Widerstand schließlich aufgeben muß. Allerdings werden in Wien nur die ersten beiden Teile der Trilogie gegeben, Kriemhilds Rache kommt erstmals 1871 am Burgtheater heraus, also erst unter Dingelstedts Intendanz.
Die Nibelungen machen Hebbel berühmt. Noch zu seinen Lebzeiten 1863 folgen Aufführungen in Brünn und Mannheim, Coburg, Prag, Klagenfurt und Hannover, bei seinem Tod stehen Verhandlungen mit Hamburg, Bremen und Königsberg an. Die Studentenverbindung „Libertas“ gibt am 18. April 1863 für Hebbel einen Festkommers, die „Silesia“ folgt am 2. Juni. Höhepunkt der Ehrungen ist am
7. November 1863
die Verleihung des Schiller-Preises der 1859 gegründeten Schiller-Stiftung (Hebbel ist der erste Preisträger) in Höhe von 1000 Talern Gold (1133 Talern Preußisch Courant) und einer goldenen Gedenkmünze im Wert von 100 Talern.
Hebbel ist zu diesem Zeitpunkt schon dauerhaft ans Bett gefesselt. Seit seinem 50. Geburtstag am 18. März 1863 leidet er an Gliederschmerzen, die die Ärzte für Rheumatismus halten. Ein Kuraufenthalt in Baden bei Wien im September schafft keine Abhilfe.
Letzte Photographie, Mai 1863
Die letzte Tagebucheintragung stammt vom
25. Oktober 1863:
Eine große Leidens-Periode, die noch nicht vorüber ist, so daß ich sie erst später fixiren kann. Aber seltsam genug, hat seit 14 Tagen der poetische Geist angefangen, sich in mir zu regen, es entstanden anderthalb Acte des Demetrius, obgleich ich, durch Rheumatismen verhindert, kaum im Stande war, sie nieder zu schreiben, und wenn es so fort geht, darf ich hoffen, das Stück im Winter unter Dach und Fach zu bringen. Wunderlich-eigensinnige Kraft, die sich Jahre lang so tief verbirgt, wie eine zurückgetretene Quelle unter der Erde, und die dann, wie diese, plötzlich und zur unbequemsten Stunde, wieder hervor bricht!
(T 6176)
Der Demetrius bleibt Fragment, obwohl Hebbel ihn noch bis an den Anfang des 5. Aktes vorantreibt, ehe die Krankheit jede Arbeit unmöglich macht.
Vgl. Joachim Müller: Bemerkungen zur Kernproblematik und dramatischen Dialektik von Hebbels Demetrius. In: HJb 1962, 114–142. – Dieter Ahrendt: Demetrius – der heimliche Prinz und die Weltgeschichte. Bemerkungen zu Schillers und Hebbels Demetrius-Tragödie. In: HJb 1985, 9–56. – Monika Ritzer: Skepsis und Vision. Zur Konzeption von Tragik in Hebbels Spätwerk am Beispiel des Demetrius-Fragments. In: HSR 6. Hamburg 1998, 79–96.
13. Dezember 1863
Tod Hebbels
Am 12. Dezember fühlte er sich sehr schwach. Nachmittags bat er seine Frau, ihm etwas vorzulesen. Auf ihre Frage, ob er etwas von Goethe hören wolle, antwortete er: „Nichts von Goethe, etwas von Schiller!“ Die nur mühsam ihre Fassung behaltende Frau meinte, er werde die Stimme seiner Tochter gerne vernehmen, und so las diese dem sterbenden Vater den „Spaziergang“ vor, eines seiner Lieblingsgedichte. Er war nicht mehr fähig, es bis zum Schlusse anzuhören. (...) Um elf Uhr nachts frug er den Doktor Schulz, der noch einmal gekommen war: „Wann wird mir besser werden?“ „Morgen!“ antwortete Schulz. „Also morgen!“ sprach Hebbel und sah ihn lange an. Um Mitternacht entfernte sich Schulz. Dann bewog Professor Brücke [der Physiologe Ernst Brücke, 1819–1892] Hebbels Frau und Tochter, die schon eine großen Teil der vorigen Nacht wachend zugebracht hatten, sich in ein anstoßendes Zimmer zurückzuziehen; Brücke blieb am Krankenbette. Bald darauf erwachte Hebbel. Brücke reichte ihm die Arznei; Hebbel schüttelte ihm die Hand, ohne zu sprechen, und schloß die Augen wieder. Einige Stunden später bemerkte Brücke an einer Veränderung in den Atembewegungen, daß Hebbels Ende unmittelbar bevorstehe. Er klopfte an die Tür des Nebenzimmers, Frau und Tochter traten herein; aber Hebbel erwachte nicht mehr zum Bewußtsein. Nach wenigen unregelmäßigen Atemzügen hatte er aufgehört zu leben. Es war fünf Uhr vierzig Minuten morgens, am 13. Dezember 1863. Während der ganzen Nacht tobte ein furchtbarer Orkan über die Stadt hin.
(Biographie 2, 522f.)
Gestern wurde der Leichnam Hebbels von Dr. Schrott und Dr. Schulz geöffnet, und der Sektionsbefund war, wie man uns schreibt, daß die Knochen der Wirbelsäule und die Rippen in völliger Auflösung und zerbröckelt vorgefunden wurden. (...) Hebbels Krankheit war nach der Wiener Abendpost eine inveterierte Knochenerweichung, ein in seinem letzten Stadium unheilbares Leiden. Außerdem bewährte sich die von einem Koryphäen der hiesigen Hochschule [gemeint ist Brücke] auf das Vorhandensein einer Rippenbeinhautentzündung gestellte Diagnose. (...) Der Fall einer derartigen Knochenerweichung ist bei Männern ein höchst seltener; seit fünf Jahren ist dem Prosektor des Allgemeinen Krankenhauses ein ähnlicher nicht vorgekommen.
(Hebbels Persönlichkeit 2, 389f.)
Zweifellos geht Hebbels Krankheit auf die jahrelange Unterernährung zurück, die bis zu seiner Eheschließung fast ununterbrochen andauerte. Die seit der Kopenhagener Zeit immer wiederkehrenden „Rheumatismusanfälle“ waren Anzeichen für das Fortschreiten der Krankheit.
Das Leichenbegängnis, das heute [15. Dezember] um halb drei Uhr nachmittags stattfand, war völlig prunklos, wie es Hebbel im Testament gewünscht. Die „Concordia“ war beinahe vollständig vertreten, ebenso die Mitglieder des Hofburgtheaters, der Verein der bildenden Künstler und des „Hesperus“. Hinter dem Totenwagen schritten Studenten, die ihm bis auf den neuen evangelischen Friedhof in Matzleinsdorf das Geleite gaben. Sonst bemerkten wir noch mehrere Professoren der Universität, Karl Rahl, den Baron Münch [Friedrich Halm], Laube und Mosenthal. Von den Ministern gewahrten wir den Exminister Freiherrn von Pratobevera, von Abgeordneten den Dr. Alexander Schindler. Eine lange Wagenreihe bewegte sich von Neuwien und durch die innere Stadt am Hofburgtheater vorbei über die Wiedener Hauptstraße nach dem Kirchhofe. Dort wurde der Sarg in die Kapelle gebracht und vor dem Altare niedergesetzt. Die Leiche bleibt dort einige Tage, bis die für Hebbel bestimmte Gruft ausgemauert ist. An der Bahre wurde weder gesungen noch gesprochen.
(Hebbels Persönlichkeit 2, 391)